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Diskurs

Dienstag, 14.07.2020

Gerhard Pfennig zur Umsetzung der DSM-Richtlinie

Der Sprecher der Initiative Urheberrecht, Prof. Dr. Gerhard Pfennig, zeigt im Folgenden eine erste Einschätzung zum 2. Diskussionsentwurf zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie, die das BMJV am 24.6.2020 veröffentlicht hat.

Die Veröffentlichung der Stellungnahme der Initiative Urheberrecht ist für Ende Juli geplant.

1. Ausgangslage

Die Initiative Urheberrecht hat sich schon vor der Vorlage des Entwurfs der DSM-Richtlinie im September 2016 für eine Reform des Haftungsregimes für Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten (im Folgenden: Diensteanbieter) eingesetzt und gefordert, die Haftungsfreistellung der Digital-Services-Richtlinie aus dem Jahr 2000 im Sinne eines Paradigmenwechsels zu beenden. Problematisch wurde insbesondere empfunden, dass die uploadenden Nutzer, die zur Vervollständigung ihrer öffentlich zugänglich gemachten Äußerungen geschützte Werke ganz oder teilweise verwendeten, ganz weitgehend, aber meist ohne Rechtsverletzungsbewusstsein in fremde Rechte eingriffen, wenn sie Werke oder Werkteile in unveränderter Form bzw. in technisch neuartiger Form verändert als Memes, Pastiches oder ähnliche Produktionen einfügten. Traten die Rechtsinhaber ihnen entgegen, entstand notwendigerweise ein scheinbarer, aber gesellschaftlich relevanter Konflikt zwischen zwei Grundrechtspositionen: dem Eigentumsgrundrecht der Urheber:innen* und der Nutzung der Meinungsäußerungsfreiheit der Nutzer.

Insbesondere Musikurheber und -rechteinhaber, aber auch Urheber und ausübende Künstler und Inhaber übertragener Rechte anderer Werkarten fühlten sich auch deshalb in ihren Rechten verletzt, weil die Nutzungen ihrer Werke und Werkteile aufgrund der Geschäftsmodelle der Betreiber großer kommerzieller Plattforme zu erheblichen Gewinnen führten, an denen die Kreativen – mit Ausnahme bestimmter beschränkter Beteiligungsmodelle – nicht profitieren konnten, während traditionelle Verwertungsformen zunehmend als Ertragsquelle ausfielen. Das Wort vom „Value Gap“ wurde weltweit zum Schlagwort für einen unbefriedigend empfundenen Zustand: die Kreativen standen und stehen bis heute auf der Verliererseite des Grabens.

Die EU-Kommission, seit langem konfrontiert mit Studien über den unbefriedigenden Zustand der Ertragslage der vom ehemaligen Kommissionspräsidenten Juncker als „Kronjuwelen“ der europäischen Kulturwirtschaft bezeichneten professionellen Kreativen, ergriff unter der Federführung des leider nur relativ kurzfristig als „Digitalkommissar“ tätigen Günter Oettinger im Jahr 2016 endlich die Initiative zur Verbesserung dieses Zustands. Allerdings versäumte sie, was erst in diesen Tagen unter dem Stichwort des „Digital Services Act“ in Angriff genommen wird: den ambitionierten Versuch, in einem großen Wurf der Regulierung das gesamte Geschäftsmodell der Plattformwirtschaft mit all seinen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Prüfstand zu stellen und auf seine Vereinbarkeit mit den Regelungen des Binnenmarkts, aber auch anderer Rechtsgebiete zu überprüfen.

Immerhin, im September 2016 wurden die Entwürfe zweier Richtlinien vorgelegt: Die erste, später DSM-Richtlinie genannte, sollte der Regulierung urheberrechtlicher Aspekte des digitalen Binnenmarkts und damit auch der Beseitigung dieser unbefriedigenden Situation dienen. Sie versprach der gesamten Kulturwirtschaft, vor allem aber den professionellen Kreativen in einigen Punkten den erwarteten Fortschritt: Beteiligung an den Gewinnen der Diensteanbieter. Die zweite, zunächst als Verordnung, später ebenfalls als Richtlinie vorgelegte Neuordnung sollte bestimmte Aspekte der Online-Verbreitung von Fernsehprogrammen und audiovisuellen Werken auf ein zeitgemäßes Niveau heben.

Der europäische Gesetzgeber stand von Anbeginn der Arbeit auch unter starkem Lobbydruck der selbstbewusst gewordenen Nutzer von digitalen Diensten, vor allem von Online-Plattformen. Diesen war mehrheitlich spätestens seit der großen Zeit der Piratenpartei zunehmend das Bewusstsein für die Respektierung der aus den verfassungsrechtlich gesicherten Grundregeln zum Schutz des geistigen Eigentums folgenden Zugriffsbeschränkungen auf geschützte Werke verloren gegangen, die in der analogen Zeit schon wegen des technisch beschränkten Zugriffs auf geschützte Werke noch selbstverständlich war. Sehr selbstbewusst forderten sie bessere Zugriffsrechte auf fremdes geistiges Eigentum zur Verwirklichung des durch digitale Techniken technisch enorm erleichterten eigenen gestaltenden Tuns, insbesondere des von ihnen erzeugten „user generated content“.

Die Diskussion wurde in Brüssel, wie bekannt, unter Einsatz aller Mittel in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments bei weitgehender Zurückhaltung der Kommission geführt. Ausgelöst wurde eine – aus der Sicht der Urheber – beispiellose Desinformationskampagne, befeuert von den amerikanischen Tech-Firmen Google und Facebook, die zur Mobilisierung tausender vor allem junger, meist mit der rechtlichen Materie nicht vertrauter Netznutzer führte. Mobilisierend wirkte dabei die Drohung, die geplante Verlagerung der Verantwortung von den uploadenden Nutzern zu den Plattformen werde diese veranlassen, sog. Uploadfilter zu verwenden, um das Hochladen geschützter Werke zensurähnlichen Kontrollen zu unterwerfen – eine Horrorvorstellung für jeden Nutzer. Verschwiegen wurde allerdings dabei, dass diese Praxis als „Notice and stay down-Verfahren“ seit Inkrafttreten der E-Commerce-Richtlinie im Jahr 2000 bis heute gängige Praxis ist und zuverlässig verhindert, dass unkontrolliert – und unvergütet – große Werke wie Spielfilme und auch musikalisches Repertoire genutzt werden können. Der Kampf wurde schließlich im April/Mai 2019 denkbar knapp zu Gunsten der ursprünglich gesetzten Ziele entschieden. Die Alternative wäre allerdings auch nur das klägliche Versagen des Gestaltungswillens aller Beteiligten und die Erhaltung des status quo gewesen.

In Deutschland tat sich, wie bekannt, besonders die Sozialdemokratie und ihre Justizministerin schwer mit der Umsetzung, entschied sich aber letztlich für den Entwurf und machte den Weg frei. Dies geschah allerdings nicht, bevor in langem Ringen mit dem Koalitionspartner eine Protokollerklärung formuliert und dem zustimmenden Beschluss der Bundesregierung beigefügt wurde, die die Umsetzung bestimmter Ziele der Richtlinie an bestimmte Konditionen bindet.

Mittlerweile hat sich der Pulverdampf des Jahres 2019 verzogen. Die Frage ist, ob es gelingen wird, die Richtlinie in einer Weise umzusetzen, die eine tragfähige Basis für das weitere, aber andere Funktionieren dieses Teils des Kulturmarktes schafft. Es kommt dabei darauf an, die beteiligten Interessen, die sich in einem neuartigen Kräfteparallelogramm aus Urhebern, Rechteverwertern herkömmlicher Art, Nutzern und Plattformen organisiert haben, auszugleichen.

2. Die DSM-Richtlinie

Die Richtlinie befasst sich nicht allein mit dem Plattformkapitel. Sie erfüllt einige weitere Harmonisierungsziele, die auf den ersten Blick weniger umstritten sind – insbesondere den erleichterten internationalen Zugang zu digitalen Datensammlungen, zur erleichterten digitalen Nutzung von Werken für Bildung und Wissenschaft, die Neuregelung der Positionen der Buch- und Zeitschriftenverleger und die Harmonisierung des Urhebervertragsrechts, das in der großen Zahl der Mitgliedsstaaten weniger entwickelt ist als in Deutschland, aber auch hier noch größere Defizite aufweist.

Erwähnt werden sollen im Folgenden nur einige Aspekte, die besonders kontrovers erscheinen.

3. Verlegerbeteiligung und Presseverlegerleistungsschutzrecht (Artikel 15 und 16)

Wie bekannt, haben die Rechtsprechung des BGH und des EuGH die in Deutschland als langjährige Praxis ausgeübte Form der Verlegerbeteiligung an Ansprüchen der Autoren aus Schrankenregelungen wegen fehlender Vereinbarkeit mit europäischem Recht außer Kraft gesetzt. Dieses Defizit kann und soll im Rahmen der Umsetzung des Artikel 16 nun beseitigt werden. Problematisch erweist sich hier wie auch bei der Umsetzung des Artikel 15, der das Leistungsschutzrecht der Presseverleger rechtssicher ausformulieren soll, dass in einem separaten Diskussionsentwurf zur vorgezogenen Umsetzung dieser Artikel vom Januar 2020 und in einem kurzfristig aufscheinenden, später wieder gelöschtem Referentenentwurf vom April 2020 feste Mindestanteile für die beteiligten Autoren bestimmt wurden – zwei Drittel bei den Vergütungsansprüchen für Bücher und ein Drittel beim Presseverlegeranspruch.

Wie inzwischen bekannt wurde, wenden sich das Bundesministerium für Wirtschaft und das Bundeskanzleramt gegen diese Quotierung, mit dem Argument, die Aufteilung zwischen Verlegern und Urhebern könne der Markt regeln. Diese Begründung nimmt sich für Urheber – gerade im Kontext der Umsetzung einer Richtlinie, deren wichtiges Ziel auch die Stärkung des Urhebervertragsrechts sein soll – geradezu zynisch aus. Böse Zungen behaupten, hier gehe es um die Sicherung der Freiheit des Fuchses im Hühnerstall. Eine Lösung ist bisher nicht in Sicht. Aus dem Schnellläufer, der die vorgezogene Umsetzung der Verlegerbeteiligung vor allem auch im Interesse der seit langem teilweise blockierten VG Wort ermöglichen soll, droht ein Rohrkrepierer zu werden.

4. Urhebervertragsrecht

Das geltende Urhebervertragsrecht leidet aus der Sicht der Kreativen auch nach und trotz der jüngsten Reform darunter, dass sie zwar die Position der einzelnen Urheber und ausübenden Künstler gestärkt, die Durchsetzung dieser Positionen jedoch nicht erleichtert hat. Aus ihrer Sicht kommt es jetzt darauf an, die Umsetzung der Richtlinie zu nutzen, um vor allem die das kollektive Urheberrecht stärkenden Vorschriften nutzbar zu machen und das immer noch bestehende strukturelle Defizit gegenüber den Vertragspartnern weiter abzubauen. Neben Präzisierungen zur Definition der Angemessenheit der Vergütung und zur Auskunftsverpflichtung auch in der Lizenzkette geht es den Kreativen vor allem um die Stärkung der Verbindlichkeit von Schlichtungssprüchen und die Einführung eines alternativen Streitbeilegungsverfahrens durch Einrichtung einer Schlichtungsstelle beim DPMA.

Wichtige und seit vielen Jahren erhobene Forderung ist die Stärkung der Verbände in Form der Einführung eines Verbandsklagerechts, z.B. für den Fall der Verletzung der Pflichten des Verwerters zur Zahlung angemessener Vergütung und zur Auskunftserteilung. Dies ist unverändert unverzichtbar, da sich nachweisbar die Geltendmachung dieser Rechte und Ansprüche durch die betroffenen individuellen Urheber in vielen Fällen nachteilig auf die Vertragsbeziehungen auswirkt. Die Erwartung ist, dass dieses Kräfteverhältnis durch die Einführung einer über den Einzelfall hinaus generalisierten Verbandsklage schrittweise weiter ausgeglichen werden kann. Die Initiative Urheberrecht hat in Zusammenarbeit mit den betroffenen Verbänden und Organisationen präzise Änderungsvorschläge zu den erwähnten Regelungen erarbeitet.

5. Plattformregulierung

Kernstück des im Juni vom BMJV wiederum als Diskussionsentwurf, d.h. ohne vorherige Abstimmung mit den weiteren zuständigen Ressorts vorgelegten Gesetzespakets sind die Formulierungen zur Plattformhaftung und die damit im Zusammenhang stehenden Vorschläge zur weitgehenden Freistellung der Nutzer von Beschränkungen beim Zugriff auf fremde Werke. Darüber hinaus geht es um die Lizenzierungspflicht der Plattformen und die Vergütung der Urheber und ausübenden Künstler.

Insgesamt zielt der Entwurf entsprechend der Formulierung in der Protokollerklärung der Bundesregierung darauf, jedem Eindruck entgegen zu treten, die Reform werde selbst in bestimmten und abgegrenzten Bereichen den Einsatz von Filtern erforderlich machen. Dies liegt zwar auch im Interesse der Urheber, die ebenfalls mehr an der – vergüteten und lizenzierten – Nutzung ihrer Werke interessiert sind als an der Verhinderung der Nutzung, aber in einigen wesentlichen Punkten schießt der Entwurf leider weit über dieses Ziel hinaus. Und entlastet nicht nur die Nutzer, sondern auch die Plattformen.

6. Lizenzierung als Basis des Rechtserwerbs

Von grundlegender Bedeutung für die Neuregelung der Verhältnisse ist die Klarstellung in Artikel 17 Abs. 1, dass zukünftig die Diensteanbieter für den Rechtserwerb der auf ihren Diensten genutzten Werke verantwortlich sind und deshalb, sofern nicht Ausnahmen und Schranken vorliegen, die Erlaubnis der Rechteinhaber einzuholen haben. Mit diesem Paradigmenwechsel nähert sich der europäische Gesetzgeber der vom EuGH eingeschlagenen Richtung bzw. dem im deutschen Recht entwickelten Institut der „Störerhaftung“ an und gibt, bezogen auf eine definierte Gruppe von großen und kommerziell konzipierten Diensteanbietern, die Anwendung der geltenden Regelung der E-Commerce-Richtline auf, nach der allein die Nutzer – die „Uploader“ – für den Erwerb und die Respektierung der Urheberrechte an von ihnen genutzten Werken verantwortlich sind. Auf diese Weise soll vor allem Rechtssicherheit für die Nutzer dieser Online-Dienste geschaffen werden, indem sie für den Fall des nichtkommerziellen Uploads fremder geschützter Werke von der Verantwortlichkeit für den Rechtserwerb befreit werden. Damit soll für klare Verhältnisse gesorgt werden.

Der Entwurf wählt hierfür einen neuartigen Weg durch Vorschlag eines speziellen, das Urheberrechtsgesetz ergänzenden „Gesetzes über die urheberrechtliche Verantwortung von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten“ (UrhDaG).

Für die individuelle Lizenzierung der Diensteanbieter kommen einerseits – je nach Vertragslage – Urheber und ausübende Künstler als Inhaber exklusiver Urheber- und Leistungsschutzrechte sowie Kulturwirtschaftsunternehmen als Inhaber eigener Leistungsschutzrechte und ggf. eingeräumter Urheber- und Leistungsschutzrechte in Betracht.
Ebenso wichtige Partner der Diensteanbieter für kollektive Lizenzierungen werden aber auf Seiten der Urheber, ausübenden Künstler sowie der Verwerter zukünftig möglichst gemeinsame Verwertungsgesellschaften sein, denen die entsprechenden Rechte bereits eingeräumt sind bzw. eingeräumt werden könnten.

Konsequent ist gemäß Artikel 2 Ziffer 6 und 17 DSM-Richtlinie vorgesehen, dass entsprechende Rechte von gemeinsamen Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden können. Dabei wird es vermutlich in der Regel darum gehen, im wesentlichen Rechte für ausschnittweise Nutzungen von Werken bzw. die Nutzung von wirtschaftlich weniger bedeutenden Werken einzuräumen, da die Lizenzierung ganzer Werke auch weiterhin durch die Verwerter erfolgen wird.

Eine Herausforderung für die vertragschließenden Verwertungsgesellschaften (mit Ausnahme der GEMA) liegt gegenwärtig im Umfang ihrer Rechtewahrnehmung. VG Bild-Kunst und VG Wort vertreten zwar jeweils die überwiegende Zahl der Urheberinnen und Urheber sowie die Verlage ihres jeweiligen Repertoires, aber nicht alle. Hier bietet Artikel 12 DSM-Richtlinie und ihr folgend der Entwurf in § 51 (neu) Verwertungsgesellschaftengesetz (VGG) eine Lösung: für den Fall, dass die fraglichen Rechte von einer repräsentativen Verwertungsgesellschaft vertreten werden, wird eine Erstreckung der vereinbarten Regelung auf alle einschlägigen Rechtsinhaber ermöglicht. Der Schutz derjenigen, die die Wahrnehmung ihrer Rechte durch eine Verwertungsgesellschaft nicht wünschen, wird durch die „Opt-Out“-Regelung des Artikel 12 Abs. 3 c DSM-Richtlinie gewahrt.

Artikel 12 DSM-Richtlinie gilt nach seinem Wortlaut zunächst nur für nationale bzw. territorial beschränkte Lizenzierungen. Diese Hürde könnte jedoch durch das Netz der Gegenseitigkeitsverträge der europäischen Verwertungsgesellschaften, die noch dazu auf der Grundlage einer europäischen Richtlinie zur kollektiven Rechtswahrnehmung reguliert werden, bzw. durch internationale Lizenzinstrumente der Gesellschaften überwunden werden. Artikel 12 bietet damit die Grundlage für eine ein breites Repertoire abdeckende Lizenzierung „aus einer Hand“, die für die Diensteanbieter und für eine effiziente Vertragspraxis große Bedeutung entfalten könnte. Das gilt insbesondere für die gemeinsamen Verwertungsgesellschaften von Urhebern und Verlagen. Dieses Modell ist uneingeschränkt zu begrüßen und greift im Übrigen eine alte Forderung deutscher Rechteverwerter auf, die dieses Instrument perspektivisch auch für andere Massennutzungen einsetzen möchten, etwa bei der nachträglichen Digitalisierung analoger Werke, bei denen sich die Suche nach den Rechteinhabern schwierig gestaltet.

7. Verbreitung von Zitaten, Karikaturen, Pastiches, und Memes etc.

Digitale Medien vereinfachen die Zugänglichmachung und Verbreitung von Werken unter den Voraussetzungen der bisher bekannten Ausnahmevorschriften wie z.B. § 51 UrhG (Zitate) oder § 24 UrhG (Freie Benutzungen). Hinzu gekommen sind neuartige Nutzungen wie Memes, Remixes oder Sampling, die argumentativ teilweise dem Oberbegriff des dem deutschen System bisher fremden „Pastiche“ zugeordnet werden.

Die in der deutschen Rechtsprechung umfangreich ausgelotete Regelung der freien Benutzung in § 24 UrhG in hergebrachter Form bedurfte aufgrund neuester Rechtsprechung des EuGH in der Sache „Metall auf Metall“ ohnedies der Anpassung an europäische Regelungen, was im Entwurf der Überarbeitung in § 51 a (neu) UrhG geleistet und gleichzeitig für die Plattformnutzung nach Artikel 17 in § 5 und 6 UrhDaG nutzbar gemacht wird.
Die Formulierung in § 51 a – „zulässig ist die Vervielfältigung, die Verbreitung und die öffentliche Zugänglichmachung eine veröffentlichten Werkes zum Zweck der Karikatur, der Parodie und des Pastiches“ – wirft allerdings zahlreiche neue Probleme auf, die die Praxis nicht erleichtern werden: Der Begriff der Parodie z.B. ist im Unionsrecht wesentlich weiter als im deutschen Rechtsverständnis, weil es keiner Auseinandersetzung mit dem Originalwerk für die Zulässigkeit bedarf. Der Begriff des Pastiche mag dem französischem Recht vertraut sein, in Deutschland ist er als Rechtsbegriff weithin unbekannt. Auslegungsprobleme zeichnen sich ab, wenn der Entwurf in seiner Begründung andeutet, dass weit offene und umstrittene Fragen wie die nach der Zulässigkeit des „Remix“ bzw. des Sampling, die im musikalischen Bereich gegenwärtig beide der Lizenzpraxis der GEMA unterliegen, nun unter diesem neuen Oberbegriff eingeordnet und genehmigungsfrei zulässig werden sollen.

Langwierige rechtliche Auseinandersetzungen bis zum EuGH sind zu erwarten, zumal nach dem Entwurf derartige Nutzungen vergütungsfrei möglich sein sollen. Im schlimmsten Fall müssen die Urheber hier eine weiträumig Enteignung im Online-Bereich befürchten, denn in der Auseinandersetzung der Verwertungsgesellschaften mit den Diensteanbietern über die Höhe der angemessenen Vergütung wird die Quantifizierung dieser weitgehend schwer zu qualifizierenden Nutzungen eine wichtige Rolle spielen. Diesen Konflikten könnte der Gesetzgeber entgehen, wenn er den Vorschlägen aus der Wissenschaft folgen und hier für Nutzungen im Rahmen des § 51 a eine angemessene Vergütung vorsehen würde. Aus Urheber- und Rechteverwertersicht muss der Entwurf hier unbedingt nachgebessert werden.

Während die erwähnten Nutzungen vergütungsfrei gestellt werden, will der Entwurf dagegen „maschinell überprüfbare“ Nutzungen in bestimmtem Umfang erlauben, allerdings gegen Vergütung, zu leisten von den Diensteanbietern. Allein der Begriff der „maschinellen Überpüfbarkeit“ wird allen Angehörigen der Netzgemeinde, denen die ganze Richtung immer noch nicht passt, ein willkommenes Argument liefern, erneut von „Uploadfiltern“ zu fabulieren.

Bei diesen Nutzungen handelt es sich um solche, die weder Karikatur, Parodie noch Pastiche sind. Der für die Nutzer freie Zugriff wird allerdings quantitativ auf Werkteile begrenzt, bei Lichtbildern und Grafiken auf ein bestimmtes Datenvolumen. Diese Obergrenzen sind nach Ansicht der Betroffenen derzeit weit überzogen. Hier wird sich im weiteren Verfahren sicherlich ein Konflikt zwischen Nutzern und zahlungspflichtigen Diensteanbietern einerseits und Urhebern bzw. Rechteinhabern anderseits um die angemessene Definition der Quantität und damit die Höhe der angemessenen Vergütung für diese Arten der Nutzung entfalten.

Die Trennung in die erwähnten freien Nutzungen im vorerwähnten Sinn und der vergütungspflichtigen weiteren Nutzungen erscheint im Übrigen schon deshalb praxisfremd, weil sie die Nutzer zwingt, einen Grundkurs in Urheberrecht zu belegen, um festzustellen, welche Vorschrift für die beabsichtigte Nutzung anwendbar ist. Dieses Dilemma könnte vermieden werden, wenn, wie vorstehend vorgeschlagen, die Parodieschranke des § 5 UrhDaG vergütungspflichtig ausgestaltet würde, denn damit werden Überschneidungen zwischen beiden Gruppen, die absehbar sind, überflüssig, man könnte sie sogar in einer Norm zusammenfassen.

Bei der Berechnung der angemessenen Vergütung wäre dann allerdings in den Vergütungsverhandlungen der Anteil der vergütungsfreien Nutzungen herauszurechnen. Hierfür gibt es in der langen Praxis der Abrechnung der Vergütungen für Private Vervielfältigung ausreichende Erfahrungen der Verwertungsgesellschaften, so dass hier kein neues Problem auftauchen dürfte.

8. Kennzeichnung erlaubter Nutzungen / „Preflagging“

Um die Nutzer noch umfangreicher vor den befürchteten Nachstellungen und Forderungen der Urheber und ausübenden Künstler zu schützen, greift der Entwurf in § 8 ein weiteres, von der Rechtswissenschaft unter Nutzung internationaler Erkenntnis entwickeltes, aber in der Praxis nicht bewährtes Verfahren auf: die vom Nutzer selbst abzugebende Erklärung, sein Upload sei gesetzeskonform, sofern geschützte Werke oder Werkteile enthalten sind. Welcher Nutzer wird, zumal wenn ihm die Plattform, deren Interesse darin liegt, die Zahlung von Vergütungen möglichst zu vermeiden, entsprechende Informationen und Klickalternativen zur Verfügung stellt, seinen Upload nicht als „rechtefrei“ deklarieren? Zumal, wenn er mangels urheberrechtlicher Qualifikation nicht in der Lage ist zu beurteilen, ob sein Upload unter § 5 oder § 6 fällt?

Sein Interesse wird im Gegenteil darauf gerichtet sein, Vergütungen und Probleme mit Rechteinhabern zu vermeiden, und deshalb wird er für „erlaubte Nutzung“ plädieren. Damit spielt er den Interessen der Diensteanbieter in die Hände, die an einer möglichst geringen Zahl vergütungspflichtiger Nutzungen größtes Interesse haben. Im Zusammenspiel mit den vorerwähnten Regelungen öffnet der Entwurf hier geradezu ein Scheunentor und ermöglicht den behaupteten Zugang zu Werken mit der Konsequenz, dass zunächst der Nutzer entscheidet, ob die Nutzung vergütungsfrei ist oder nicht.

9. Sperrung nicht erlaubter Nutzung

Wie kann dieses Scheunentor wieder geschlossen werden? Der Schwarze Peter liegt beim Urheber oder Rechteinhaber. Er muss nämlich gemäß § 10 selbst Sperrung unberechtigt hochgeladener Inhalte verlangen und dem Diensteanbieter dazu die „erforderlichen Informationen“ zur Verfügung stellen. Möglich ist dies aber nur, wenn es sich nicht um einen „kleinen“ Diensteanbieter handelt, denn der genießt gemäß § 10 Abs. 2 und 3 „Welpenschutz“, kann also a priori überhaupt nicht in Anspruch genommen werden. Mit diesem Konzept wird zumindest bei Nutzungen, die nicht von einer globalen Lizenz umfasst sind, die Kontroll- und Beweislast für den unberechtigten Eingriff in Werke auf die Urheber, ausübenden Künstler und Rechteinhaber verlagert – wie soll das funktionieren?

Da hilft vermutlich auch wenig, dass im Falle der Weigerung eine vom Diensteanbieter eingerichtete Schiedsstelle, ein behördlich zu organisiertes Schiedsverfahren und schließlich die Anrufung der Gerichte ermöglicht wird – der Rechteinhaber muss tätig werden, und bis zu einer Entscheidung wird sein Werk weiter genutzt. Einzige Ausnahme: nach § 12 wird ein Upload trotz Kennzeichnung entfernt, wenn der Upload zu 90 % (!) dem vom Urheber vorgelegten Originalwerk entspricht.

Zusammenfassend bedeutet dies: Wenn oder solange die Diensteanbieter einen Vertragsabschluss mit den Verwertungsgesellschaften der Urheber und ausübenden Künstler bzw. der Rechteinhaber verweigern, sind die eigentlich schützenswerten Kreise auf sich allein, ihre Kontrollfähigkeit und das Schiedsverfahren verwiesen. Für die Nutzer entsteht kein Risiko, denn auch im Falle der erwiesenen falschen Ausweisung des Werkes haften nicht sie, sondern die Diensteanbieter. Man fragt sich, ob diese weitreichende Konsequenz im Konzept des Paradigmenwechsels im Haftungsregime beabsichtigt war. Ohne wesentliche Nachbesserung, am einfachsten durch die Einführung weitgehender Schrankenregelungen ohne Ausnahmen, erscheint das vorgeschlagene Verfahren aus Urhebersicht absolut kontraproduktiv und realitätsfern, denn es entlastet Diensteanbieter und Nutzer bei gleichzeitiger Schädigung der Rechteinhaber.

10. Beteiligung der Urheber und ausübenden Künstler

Eines der Grundprobleme der Rechtewahrnehmung im digitalen Zusammenhang resultiert etwa daraus, dass in Bezug auf die Produktion audiovisueller Werke Rechtseinräumungsvermutungen bestehen, die die Verwirklichung der Zielsetzung der Richtlinie, die Existenzsituation der professionellen Kreativen zu verbessern, verhindern oder zumindest erschweren. Es handelt sich hierbei um die Rechtsübertragungsvermutungen der §§ 89 und 92 UrhG, durch die in der Regel die Verwertungsrechte an Filmwerken von den Regisseuren auf die Produzenten übertragen werden. Diese nehmen zwar nicht ausdrücklich Bezug auf Nutzungen im digitalen Zusammenhang, dennoch muss davon ausgegangen werden, dass ohne Klarstellung im Zuge der Umsetzung eine gesetzesimmanente Auslegung nahe legen könnte, dass die Verwertung von audiovisuellen Werken durch Plattformen zu einer Zuordnung der Verwertungserlöse entsprechend der analogen Verwertung führen könnte. Dies würde aber bedeuten, dass die Erlöse aus dieser neuen Verwertungsform ausschließlich den Produzenten audiovisueller und musikalischer Werke zufließen würden, jedenfalls soweit audiovisuelle und musikalische Urheber oder ausübende Künstler betroffen sind.

Die Bundesregierung hat schon in ihrer Protokollerklärung zugesagt zu prüfen, wie die faire Beteiligung der „professionellen Kreativen“ an Lizenzeinnahmen durch „Direktansprüche“ gesichert werden kann. Dort heißt es: „Im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen die Künstlerinnen und Künstler, die Urheberinnen und Urheber, letztlich alle Kreative, die sich ganz selbstverständlich der neuen Werkzeuge bedienen, die Digitalisierung und Vernetzung für kreatives Schaffen bereithalten. Der Schutz kreativer Leistungen im Netz, damit einhergehend auch eine angemessene Vergütung der Kreativen, steht hierbei für die Bundesregierung selbstverständlich nicht in Frage.

Diesen Weg beschreitet der Entwurf nun mit dem in § 7 vorgesehenen Direktvergütungsanspruch für vertragliche – also außerhalb von Schranken erfolgende Nutzungen – und dem Vergütungsanspruch für Schrankennutzungen nach § 6, wobei ersterer tatsächlich die Verhältnisse grundlegend verbessern könnte, denn er bezieht sich auf sämtliche Verträge, die Dritte, also Rechtsverwerter wie Produzenten etc. mit Diensteanbietern schließen.

Modell für den Beteiligungsanspruch ist zu einen die Regelung in § 20b UrhG, die den Kreativen einen Anteil an der Kabelweitersendevergütung unabhängig vom Inhalt des Produktionsvertrags über das Werk sichert.

Eine vergleichbare Regelung sieht die EU-Richtlinie zum Vermieten und Verleihen aus dem Jahr 1992 vor, umgesetzt in § 27 Abs. 1 UrhG: bezogen auf das damals übliche Vermieten bespielter Filmkassetten in Videotheken wurde zugunsten der Urheber und ausübenden Künstler ein zusätzlicher Anspruch auf Vergütung eingeführt, den die Videotheken an die einschlägigen Verwertungsgesellschaften zu zahlen haben. Den Produzenten bleibt zwar die Entscheidung, ob der Film überhaupt genutzt werden sollte, auf den Vergütungsanteil der Urheber und Künstler haben sie jedoch, ganz unabhängig von der individuellen Vertragslage, keinen Zugriff. Diese Regelung ist auch deshalb sinnvoll, weil sie den an der Produktion Beteiligten Auseinandersetzungen und rechtliche Klärungen um Aufteilungen erspart und damit überhaupt eine handhabbare und konsumentenfreundliche Werknutzung in den Videotheken ermöglichte. Mit dem Aussterben der Videotheken hat sie allerdings ihren Wert verloren, und auf die heute übliche On-Demand-Verbreitung von Filmen, die die Vermietung ersetzt, findet sie noch keine Anwendung.

Die Bundesregierung hat in ihrer Protokollerklärung erkannt, dass sich bei der Plattformnutzung erneut die Frage nach der Sicherung der Beteiligung der Urheber und Künstler an der Nutzung von Werken in neuartigen, erst nach Vertragsabschluss entstandenen digitalen Zusammenhängen stellt, deren erste Lizenzierung teilweise noch unter Verhältnissen der analogen Nutzung erfolgte. Diese Frage stellt sich noch unter einem anderen Blickwinkel: Mangels wirksamer urhebervertragsrechtlicher Regelungen werden auch neue Verträge für digitale Nutzungen teilweise noch immer nach den alten für analoge Nutzungen entwickelten Mustern, d.h. in der Regel ohne besondere Vergütung für digitale Nutzungen, abgewickelt.
Die Einführung eines derartigen Anspruchs auf Direktbeteiligung der Urheber findet schon heute im europäischen Kontext für den audiovisuellen Bereich Vorbilder in Spanien, Italien und der Schweiz. In Frankreich gelten vergleichbare Regelungen auf vertraglicher Basis.

In welchem Umfang dieses Modell auch auf weitere Werkverwertungen in neuartigen digitalen Formaten außerhalb des Richtlinienbereichs finden kann, wird anhand dieses Beispiels zu prüfen sein; der Entwurf bietet jedenfalls die große Chance, die Beteiligung der Urheber und ausübenden Künstler auch über den audiovisuellen Bereich hinaus in anderen Verwertungsbereichen rechtssicher und fair auszugestalten.

11. Fazit

Die Umsetzung der DSM-Richtlinie, insbesondere das die Diensteanbieter betreffende Kapitel, stellt eine Herkulesaufgabe dar, zumal sie im Bereich der EU möglichst synchron geleistet werden sollte, um das Entstehen von Schlupflöchern vor allem zu Gunsten der Diensteanbieter zu vermeiden; ob dies gelingt, wird man sehen.

Die Corona-Krise hat dramatisch deutlich gemacht, wie dringend eine neue Regelung gerade zur strukturellen Verbesserung der Situation der Kreativen erforderlich ist. Insofern hat die Etablierung des Direktvergütungsanspruchs höchste Bedeutung für die Kreativen, verbunden mit der Stärkung der Handlungsfähigkeit ihrer Verwertungsgesellschaften durch das Instrument der erweiterten kollektiven Rechtewahrnehmung. In diesem Punkt ist der Entwurf europaweit richtungsweisend.

In der Handhabung der Ausnahmen und Schranken, die deutlich von der Motivation zur Befriedigung vermuteter Nutzerinteressen gelenkt werden, schießt der Entwurf über das Ziel hinaus. In der Absicht, Uploadfilter weitgehend überflüssig zu machen, ermöglicht er faktisch, insbesondere durch das Verfahren des „Preflagging“, nahezu unbegrenzten und selbst definierten Zugang der Nutzer auf fremde Werke als Grundlage der Verwirklichung eigenkreativer Ziele. Dem haben die Urheber und ausübenden Künstler kaum etwas entgegen zu setzen. Wo keine übergreifenden Verträge geschlossen wurden, profitieren zudem die Diensteanbieter von dieser faktischen Reduzierung der genehmigungs- und vergütungspflichtigen Nutzungen, denn sie müssen dafür keine Vergütungen leisten.

Die Urheber und Rechteinhaber stehen diesem Zugriff auf ihre Werke quasi machtlos gegenüber, ihre Situation verbessert sich gegenüber den status quo nicht. Nur weiter gezogene Schranken können diese Probleme überwinden. Sie würden dazu führen, das von Nutzern und Urhebern, ausübenden Künstlern und vielen Rechteinhabern gemeinsam verfolgte Ziel zu erreichen: Es geht darum, möglichst weitreichenden Zugang von Nutzern und Verbrauchern auf Rechte, sei es zum Konsum oder als Grundlage zu eigenschöpferischem Tun, zu ermöglichen, aber nur unter gleichzeitiger Sicherung umfangreicher und durchsetzbarer angemessener Vergütungen für Urheber, ausübende Künstler und Rechteinhaber. Dies erreicht der Entwurf noch nicht, und deshalb sollten alle Beteiligten darum ringen, die Defizite zu beseitigen.

Prof. Dr. Gerhard Pfennig
Sprecher der Initiative Urheberrecht

Teile des Textes wurden in leicht geänderter Form von promedia am 14.7.2020 abgedruckt.

200714_disk_entw_einschaetzung_g_pfennig.pdf (pdf, 226.83 KB)

Pressekontakt: info@urheber.info