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Diskurs

Mittwoch, 01.07.2015

Die Debatte um die Panoramafreiheit versachlichen

Die Debatte um die Panoramafreiheit hat in den Medien hohe Wellen geschlagen. Die VG Bild-Kunst, die sowohl Fotografen und Dokumentarfilmer wie auch bildende Künstler vertritt, hat einen Sonder-Newsletter zum Thema herausgegeben, in dem sie den Versuch der Versachlichung diese...

Die Debatte um die Panoramafreiheit hat in den Medien hohe Wellen geschlagen. Die VG Bild-Kunst, die sowohl Fotografen und Dokumentarfilmer wie auch bildende Künstler vertritt, hat einen Sonder-Newsletter zum Thema herausgegeben, in dem sie den Versuch der Versachlichung dieser Debatte unternimmt. Wir veröffentlichen diese Stellungnahme mit freundlicher Genehmigung der Verwertungsgesellschaft:

Die Debatte um die Panoramafreiheit – ein Versuch der Versachlichung

Wer in den letzten Tagen aufmerksam Zeitung gelesen oder Radio gehört hat, reibt sich die Augen: Die Panoramafreiheit in Gefahr? Der Untergang aller sozialen Medien steht vor der Tür? Keine Selfies mehr vor dem Brandenburger Tor? Freier Journalismus nicht mehr möglich?
Als Ergebnis einer bemerkenswert effektiven Kampagne ist in den letzten Tagen ein Thema in der breiten Öffentlichkeit zu einem Skandal hochgejubelt worden, das bis vor kurzem überhaupt kein Thema, geschweige denn ein Problem, war: die Panoramafreiheit.

Worum geht es?

In Deutschland erlaubt die Panoramafreiheit das Fotografieren und Filmen von Kunst und Architektur im öffentlichen Raum, ohne dass dabei die Urheberinnen und Urheber um Erlaubnis gefragt werden müssen. Die so geschaffenen Fotos und Filme können vergütungsfrei genutzt werden. Dies geht soweit, dass sich in Kassel sogar eine Firma den bekannte „Himmelsstürmer“ von Jonathan Borofsky, der nach der Dokumenta im Jahr 1992 dauerhaft vor dem Kasseler Bahnhof aufgestellt wurde, als Marke hat eintragen lassen, ohne dass Jonathan Borofsky überhaupt gefragt wurde.

Warum jetzt die Aufregung?

Europäisches Recht erlaubt jedem Staat zu entscheiden, ob und wenn ja wie weitgehend eine Panoramafreiheit eingeführt wird. Deutschland hat sich für eine sehr weitgehende Panoramafreiheit entschieden (ebenso wie u.a. Großbritannien, Schweden, Polen, Tschechien und Österreich), Frankreich dagegen verlangt zumindest für die kommerzielle Nutzung von Werken im öffentlichen Raum von den Nutzern der abfotografierten oder gefilmten Werke eine Vergütung (ebenso wie u.a. Spanien, Italien, Belgien, Holland und Dänemark).
So weit, so gut. Im Februar hatte dann die Abgeordnete Julia Reda, die einzige Piratin im Europäischen Parlament, einen Bericht zur Reform des Urheberrechts vorgestellt, in dem sie neben vielen anderen Punkten forderte, die weitgehende Panoramafreiheit deutschen Zuschnitts müsse verbindlich in ganz Europa gelten. Hierfür erhielt sie keine Mehrheit, im Gegenteil: Die Künstlerinnen und Künstler aus Frankreich haben gegen diesen drohenden Verlust ihrer Rechte protestiert, mit dem Ergebnis, dass der Rechtsausschuss des Europäischen Parlamentes nun den Spieß umgedreht hat und die französische Lösung empfiehlt.
In Deutschland haben weder Architekten, noch Künstler, noch deren Verbände, noch die Bild-Kunst eine Abschaffung oder Aufweichung der Panoramafreiheit gefordert.

Wer steckt hinter der Kampagne?

Vordergründig wurde die Medien-Kampagne von Julia Reda und damit der Piratenpartei ins Leben gerufen. Im Hintergrund agieren international tätigen Online-Plattformen, allen voran Wikimedia, die ein Interesse an einer europaweiten Einführung der Panoramafreiheit haben und deshalb den ursprünglichen Vorschlag von Frau Reda unterstützen. Das Interesse ist vor allem wirtschaftlich begründet: Plattformbetreiber wollen für geschützte Inhalte möglichst nie Geld bezahlen und stellen deshalb das Urheberrecht häufig als Hindernis für eine digitale Entwicklung dar. Ihnen reicht eine Panoramafreiheit für Privatleute nicht aus, denn sie wollen mit diesen Inhalten ja Geld verdienen.

Welche Gefahr geht von der Kampagne aus?

Gegen eine sachliche Diskussion über das Für und Wider der Panoramafreiheit wäre sicherlich nichts einzuwenden. Die Bild-Kunst würde sich dabei zurückhalten, denn sie vertritt sowohl bildende Künstler und Architekten, als auch Fotografen, Filmurheber und Dokumentarfilmproduzenten.
Eine Medienkampagne in der breiten Öffentlichkeit ist aus unserer Sicht jedoch der falsche Weg, da sie zu sehr einem Schwarz-/Weiß-Denken Vorschub leistet und die Debatte unnötig emotionalisiert.
Es ist etwas anderes, was uns beunruhigt: Julia Reda will mit der Kampagne bewirken, dass das Europäische Parlament den ausgewogenen Bericht des Rechtsausschusses wieder aufmacht und ihr somit doch noch eine Chance gibt, ihre ursprünglichen, teils deutlich urheberfeindlichen Positionen durchzusetzen. Oder mit anderen Worten: die Panoramafreiheit wird hier wohl als Vehikel benutzt, erneut eine Stimmung gegen das Urheberrecht zu erzeugen.

Was ist von dem Formulierungsvorschlag des Rechtsausschusses des EU-Parlaments zu halten? Hier einige Fragen und Antworten:

1) Würde eine Umsetzung des Vorschlags die bestehenden Schrankenregelungen in Deutschland aufheben?

Der Bericht des Rechtsausschusses verlangt nicht, dass die Mitgliedsstaaten ihre bestehenden Vorschriften ändern. Der Report hebt nur hervor, dass kommerzielle Nutzungen nicht ohne Zustimmung der Urheberrinnen und Urheber erfolgen sollen. Im Übrigen hat das EU-Parlament keine Gesetzgebungskompetenz. Gesetze initiieren kann nur die EU-Kommission und die interessiert sich für das Thema nicht.

2) Werde ich meine Fotos/Videos etc. weiterhin in sozialen Medien teilen können?

JA! Einerseits bleibt es in Deutschland bei der bestehenden Panoramafreiheit. Andererseits würde der Vorschlag des Rechtsausschusses selbst in Frankreich nicht dazu führen, dass Privatleute ihre geposteten Inhalte aus dem Netz nehmen müssen. Er sagt lediglich, dass bei einer kommerziellen Nutzung (z.B. als Postkarte oder in der Werbung) eine Genehmigung der Urheberin oder des Urhebers erforderlich sein sollte.
Bei sozialen Netzwerken werden teilweise die allgemeinen Geschäftsbedingungen als Problem gesehen: Nach diesen räumen nämlich Nutzer den Betreibern üblicher Weise alle Rechte an allen eingestellten Inhalten ein (schon mal dran gedacht?). Teilweise wird weitergehend eine Freistellung von Rechten Dritter verlangt. Fehlt die Panoramafreiheit für kommerzielle Nutzungen wie in Frankreich, so führt dies aber nicht dazu, dass die Rechteinhaber gegen einzelne Nutzer vorgehen. Denn urheberrechtlich verantwortlich sind die Plattformbetreiber und nur diese handeln kommerziell, nicht die Nutzer der Plattformen. Die Bild-Kunst tritt im Zusammenschluss mit anderen Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften dafür ein, die Verantwortlichkeit der Plattformbetreiber gesetzlich festzuschreiben, um die verbleibenden rechtlichen Unsicherheiten für die Millionen Nutzer der Plattformen zu beseitigen.

3) Können Fotografen und Dokumentarfilmer ihre Fotos und Filme weiterhin nutzen?

JA! In Deutschland bleibt es bei der Panoramafreiheit und in den Ländern, in denen die kommerzielle Nutzung einer Zustimmung der Urheberrinnen und Urheber bedarf, gibt es einfache Lizenzsysteme für diejenigen Nutzungen, die nicht ohnehin unter eine andere Ausnahme (Aktuelle Berichterstattung, unwesentliches Beiwerk, Zitatrecht) fallen.

4) Ist es nötig, die Panoramafreiheit europaweit zu harmonisieren?

Es gibt zwar keine Belege dafür, dass es Probleme bei der grenzüberschreitenden Nutzung oder im gemeinsamen Markt gibt. Gegen eine sachliche Diskussion wäre natürlich nichts einzuwenden.

VG Bild-Kunst Sonder-Newsletter vom 1. Juli 2015

Pressekontakt: info@urheber.info