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Diskurs

Donnerstag, 30.04.2020

"Afghanistan-Papiere" durften veröffentlicht werden

Die Bundesrepublik Deutschland kann die Veröffentlichung militärischer Lageberichte über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr durch die Presse nicht unter Berufung auf das Urheberrecht untersagen, hat der Bundesgerichtshof entschieden.

In dem Rechtsstreit zwischen der Funke Mediengruppe und dem deutschen Staat geht es um die sogenannten „Afghanistan-Papiere”. Die Westdeutsche Allgemeinen Zeitung (WAZ), die heute zur Funke-Gruppe gehört, hatte die Papiere zur „Unterrichtung des Parlaments“, die als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ gestempelt waren, im Jahr 2013 auf ihrem Onlineportal „Der Westen“ veröffentlicht, um den Kriegsverlauf von 2005 bis Sommer 2012 zu dokumentieren.

Das Verteidigungsministerium hatte die Herausgeber der WAZ unter Berufung auf das Urheberrecht abgemahnt und aufgefordert, die Papiere aus dem Netz zu löschen. Dabei stützte sich das Ministerium auf § 12 UrhG, nach dem nur der Urheber bestimmen darf, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist. Das Landgericht Köln hatte der Klage 2014 stattgegeben und auch die Berufung vor dem Oberlandesgericht blieb 2015 erfolglos. Nach der Androhung einer Zwangsvollstreckung nahm die WAZ die Dokumente vom Netz.

Der Bundesgerichtshof hatte den Fall im Juni 2017 zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof verwiesen (siehe News vom 2. Juni 2017). In seinem Urteil vom 29. Juli 2019 stellt der Gerichtshof fest, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen urheberrechtlichen Schutz militärischer Lageberichte vorliegen (siehe News vom 30. Juli 2019). Diese können aber „nur dann urheberrechtlich geschützt sein, wenn es sich bei ihnen um eine geistige Schöpfung ihres Urhebers handelt, in der seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt und die sich in seinen bei ihrer Ausarbeitung frei getroffenen kreativen Entscheidungen ausdrückt.“ Der EuGH wies in diesem Zusammenhang auf die Berichterstattung über Tagesereignisse hin.

Die Schutzschranke der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) greift hier auch nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. April 2020 (Az: I ZR 139/15 – Afghanistan Papiere II). Es könne offenbleiben, ob die „Afghanistan-Papiere” urheberrechtlich als Schriftwerke geschützt sind. Die WAZ habe durch die Veröffentlichung „jedenfalls ein daran bestehendes Urheberrecht nicht widerrechtlich verletzt“, heißt es in der BGH-Pressemitteilung. „Die Berichterstattung hat auch ein Tagesereignis zum Gegenstand. Sie betrifft die Frage, ob die jahrelange und andauernde öffentliche Darstellung des auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Texte auf der Internetseite der Beklagten noch stattfindenden und damit aktuellen, im Auftrag des deutschen Bundestages erfolgenden Einsatzes der deutschen Soldaten in Afghanistan als Friedensmission zutrifft oder ob in diesem Einsatz entgegen der öffentlichen Darstellung eine Beteiligung an einem Krieg zu sehen ist.“

Zudem habe die Berichterstattung „nicht den durch den Zweck gebotenen Umfang überschritten“ und das durch Artikel 14 des Grundgesetzes geschützte ausschließliche Verwertungsrechte zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Zugänglichmachung sei „allenfalls unwesentlich betroffen“, weil die Lageberichte nicht wirtschaftlich verwertbar seien.

Außerdem könne das Geheimhaltungsinteresse nach den Umständen des Streitfalls das durch die Meinungs- und Pressefreiheit geschützte Veröffentlichungsinteresse nicht überwiegen. FragdenStaat hat die „Afghanistan-Papiere” nach dem BGH-Urteil gleich wieder online gestellt.

Pressekontakt: info@urheber.info