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Diskurs

Dienstag, 12.05.2015

EU: Brüsseler Allerlei mit interessanten Perspektiven

Vor einigen Tagen hat die EU-Kommission ihre „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“ vorgelegt – ein „Brüsseler Allerlei mit interessanten Perspektiven“, kommentiert Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht. Nach vielfältigen und widersprüchliche...

Vor einigen Tagen hat die EU-Kommission ihre „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“ vorgelegt – ein „Brüsseler Allerlei mit interessanten Perspektiven“, kommentiert Gerhard Pfennig, Sprecher der Initiative Urheberrecht.

Nach vielfältigen und widersprüchlichen Ankündigungen haben die Kommissare Ansip (Vizepräsident) und Oettinger ihre Strategie für einen digitalen Binnenmarkt in Europa vorgelegt (siehe News vom 6. Mai 2015). Die Strategie versucht einen Rahmen auszufüllen, den einerseits die nationalen Wirtschaften – wie z.B. Deutschland mit dem Konzept der „Industrie 4.0" – im Auge haben und den andererseits weltweit die US-Firmen Google, Apple und Amazon mit ihren Aktivitäten faktisch und kaum kontrolliert bereits nutzen. Beiden gemeinsam ist, dass sie, wie kürzlich in Berlin auf einer Konferenz des BDI gefordert wurde, anstreben, die Umformung der Zivilgesellschaft auf 4.0-Niveau voran zu treiben. In dieser Welt schreiben die Computer der Industrie und die Intermediäre den Menschen vor, was sie wann und wo zu kaufen haben, wenn sie ihren ferngesteuerten Autos entstiegen sind: Orwell 4.0 ist nicht mehr weit.
Immerhin, die neue Kommission reagiert nun auf diese Voraussetzungen und erfüllt eine lange überfällige Verpflichtung: sie versucht, traditionell gewachsene „Silos“ – also Traditionen – in den Bereichen Telekomregulierung, Urheberrecht, Datenschutz, Verwaltung von Funknetzen und im Wettbewerbsrecht einzureißen und Europa durch umfassende Reformen fit zu machen für die internationale Konkurrenz mit riesigen Mächten wie den USA und China. Diese sind zumindest rechtlich und binnenstrukturell einheitlich und haben nicht die Probleme wie sie die unterschiedlich gewachsenen und verschiedenen kulturellen Identitäten verpflichteten Nationen in Europa haben. Auf diese Weise sollen erhebliche Steigerungen der Wirtschaftsleistung erreicht werden. wie realistisch dieser notwendige Ansatz allerdings auf kurze Sicht ist, muss sich noch erweisen, man denke nur an die auf Desintegration zielenden Vorstellungen der gerade neu gewählten Regierung in Großbritannien.
Insofern sind die Ziele, die in kurzen Fristen erreicht werden sollen, so ambitioniert gesetzt, dass man uns allen nur wünschen kann, dass wenigstens einige wichtige erreicht werden. Gleichzeitig sind sie aber auch so allgemein formuliert und in jedem Fall von weiterer Gesetzgebung auf EU-Ebene abhängig, dass viele Spielräume für die Umsetzung bleiben.
Es ist hier nicht der Platz für eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen Punkten der Agenda. Ihr Hauptzweck ist es, für Verbraucher und Industrien den Austausch von Waren und analogen sowie digitalen Dienstleistungen durch Anpassung von zivil- und steuerrechtlichen Vorschriften so zu erleichtern, dass Grenzüberschreitungen nicht mehr wahrgenommen werden. Wie das allerdings funktionieren soll, ohne so simple aus der analogen Welt stammende Behinderungen wie unterschiedliche Benzinpreise und Mautsysteme für die Bodentruppen des Online-Handels zu harmonisieren, wird nicht erklärt.
Wird in der kürzlich von drei (!) zuständigen deutschen Ministern ohne direkte Beteiligung von Justiz und Kultur vorgelegten Digitalen Agenda der Bundesregierung die Situation der Kreativen nur kursorisch erwähnt, so enthält die Brüsseler Agenda einige Hinweise auf Aktionen im Bereich Urheberrecht. Kultur wird jedoch nicht als eigenständiger Gegenstand von politischer Gestaltung erwähnt.
So sollen Urheberrechtsregeln im Zuge der digitalen Revolution, unter Berücksichtigung veränderter Verhaltensweisen der Verbraucher, modernisiert und die Durchsetzung von Rechten gegen Verletzungen gestärkt werden. Erfreulicherweise hebt die Kommission die entscheidende Stärkung der Kreativität durch das Urheberrecht erneut als Grundsatz hervor: Kapitel 2.4 des Papiers der Kommission vom 6. Mai 2015 beginnt sogar mit dem Satz „Das Urheberrecht ist die Grundlage für Europas Kulturindustrie und Kreativität“ und hebt im Folgenden die Bedeutung des Kreativen Schaffens in Europa für die Wirtschaft, auch im globalen Wettbewerb, hervor. Weiterhin wird vorgeschlagen, hierzu die bestehenden Richtlinien, vor allem die „Internetrichtlinie“ von 2001, zu modernisieren. An deren Reform versucht sich derzeit auch die Piratin Julia Reda im Rechtsausschuss des EU-Parlaments (über 500 Änderungsanträge zu ihrem Entwurf und mehrfache Verschiebungen der Beschlussfassung jetzt auf Juli).
Das Kapitel enthält außerdem das erfreuliche Vorhaben, „Maßnahmen zur Sicherung einer gerechten Vergütung für Urheber“ zu ergreifen. Die Kommission unterstreicht auch, dass die Lösungen neue Möglichkeiten für Urheber und eine erhöhtes Angebot für Nutzer schaffen sollen, betont aber ebenso, dass keine „Abstriche bei der Finanzierung von EU-Medien und innovativen Inhalten“ gemacht werden sollen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Erwähnung der Kabel- und Satellitenrichtlinie, und das aus zwei Gründen: Die Satellitensendung basiert für die Lizenzierung auf dem Sendeland-Prinzip (d.h. für die Lizensierung ist das Recht des Sendelands ausschlaggebend). Wird sie, wie beabsichtigt auf Internetdienste der Sendeunternehmen ausgedehnt, wird man wohl prüfen müssen, ob dieser Grundsatz gegen das Ursprungslandprinzip getauscht werden soll.
Die Richtlinie postuliert im Hinblick auf die Kabelweitersendung einen nicht abtretbaren Vergütungsanspruch für die Urheber und ausübenden Künstler, der die Basis für eine effiziente Beteiligung bei Verwaltung durch Verwertungsgesellschaften bildet: Er sollte unserer Ansicht nach und entsprechend dem Modell der Vermietrichtlinie auf weitere neue Dienste ausgedehnt werden und so den Anspruch auf eine angemessene Vergütung auch für Onlinenutzungen von Werken sichern.
Als wesentliche Behinderung des Binnenmarkts mit urheberrechtlich relevanten Werken und Leistungen wird das „Geoblocking“ angesehen. Frau Ansip hat die Fachwelt durch ihren Ehemann wissen lassen, dass sie nicht akzeptieren will, dass sie in Brüssel ihre gewohnten heimatlichen Serien nicht empfangen kann. Der Herr Vizepräsident hat die gleichen Probleme mit heimischen Fußballübertragungen. Das Problem ist ärgerlich und für viele Nutzer relevant. In der geforderten Pauschalität der Abschaffung aller derartigen Hindernisse wird man dem gewachsenen und regional meist den Sprachgrenzen folgenden, entwickelten internationalen Lizenzmarkt jedoch nicht gerecht. Dies wurde von Kommissar Oettinger selbst und in Deutschland durch die einschlägigen Ministerien deutlich kritisiert und wird inzwischen auch in Brüssel verstanden. Die Stärkung der „Portabilität“, also die Möglichkeit, individuell erworbene Lizenzen auch im Ausland individuell nutzen zu können, scheint zumindest auf kurze Frist der Ausweg zu sein. Diese ist im Übrigen schon jetzt vielfach gegeben, wie z.B. der Nutzer der Digitalabonnements deutscher Zeitungen im Ausland leicht feststellen kann.
Ganz wesentlich ist der Abschnitt der Kommunikation, der sich mit den nicht identifizierten Intermediären bzw. Plattformbetreibern, sprich Google and Friends, und den Telecoms beschäftigt. Dazu gehört die Prüfung der Bevorzugung von Eigenangeboten, die bereits Gegenstand von Wettbewerbsverfahren ist. Aber auch die Klärung der Verantwortlichkeit bei Rechtsverletzungen ist entscheidend: Schön wäre es, wenn, wie die Kommunikation andeutet, die alte Frage der Haftung für die auf YouTube von Nutzern eingestellten fremden Werke (das Katzenvideo wird mit einem beigegebenen Musikstück aufgewertet) endlich ernsthaft geprüft würde. Von Urheberseite wurde im Interesse der Versöhnung von Nutzern und Urhebern/Künstlern eine Pauschalabgabe der Intermediäre nach dem Vorbild der Privatkopievergütung ins Gespräch gebracht.
Inwieweit diese Pläne sich im vorgegebenen Zeitrahmen – konkrete Maßnahmen sollen in den Jahren 2015 und 2016 vorgelegt werden und zu Änderungen bestehender bzw. zu neuen Richtlinien führen – verwirklichen lassen, wird sich weisen. Wichtig wird sein, inwieweit die unterschiedlichen Ansätze von Parlament und Kommission sich vereinbaren lassen und inwieweit die Staaten im Rat mitziehen. Groß sind die Interessengegensätze: Viele Silos sind aus hartem Beton gegossen.
Immerhin: Während Okwui Enwezor zur Illustration seines Themas „All the World’s Futures“ in der Biennale von Venedig sieben Monate lang täglich „Das Kapital“ von Karl Marx vorlesen lässt, vielleicht um der Welt Perspektiven zu eröffnen, folgen Juncker, Ansip und Oettinger, hoffentlich mit mehr Aussicht auf Erfolg, einem auf das Praktische zielenden Ausspruch des gleichen Autors (11. Feuerbach-These): „Die Philosophen haben die Welt nur interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern“.

Prof. Dr. Gerhard Pfennig
Sprecher der Initiative Urheberrecht

gp_digitale_strategie_eu-kommission_2015-05-12.pdf (pdf, 350.81 KB)

Pressekontakt: info@urheber.info